zum Status und der Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit des Eisenbahn-Güterverkehrs
1. Entwicklung des Eisenbahn-Güterverkehrs seit Anfang der 90er Jahre
Seit Beginn der 90er Jahre haben bereits mehrere Entwicklungen die Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit des Eisenbahn-Güterverkehrs dramatisch reduziert.
So hat der Privatisierungsprozess der europäischen staatlichen Bahnen zu umfassenden Rationalisierungsmaßnahmen mit der Schließung bzw. Einstellung der Bedienung von Anschlussbahnen und privaten Gleisanschlüssen geführt. Insbesondere mittelständische Kunden haben sich daraufhin von der Schiene auf die Straße orientiert.
Die EU-Erweiterung in den 90er Jahren führte in Folge der Öffnung Westeuropas für osteuropäische Fuhrunternehmen zu drastischen Preisreduzierungen des Straßenverkehrs, die speziell im Einzelladungsverkehr auf der Schiene nicht zu kompensieren waren.
Durch die weltweite Globalisierung haben sich Basisproduktionen in Richtung Osten verlagert, die auch einen massiven Ladungsrückgang bahnaffiner Massengüter mit sich brachten.
Zunehmende Importmengen führten zu enormen Steigerungen von Containerverkehren über die Seehäfen für Konsum- und Industriegüter, die jedoch aufgrund von Infrastruktur- und Qualitätsmängeln nur teilweise auf der Schiene transportiert werden und die Verluste aus dem Globalisierungsprozess nicht kompensieren. Mehrere Waggongattungen, die für bahnaffine Massengüter geeignet waren, können nicht mehr wirtschaftlich eingesetzt und müssen verschrottet werden.
Die von der EU initiierte Liberalisierung hat sich lediglich auf Komplettzugverkehre mit einer Gutart zwischen Gleisanschlüssen sowie komplette Zügen des Intermodalverkehrs positiv ausgewirkt.
Der Anteil von Wagengruppen- und Einzelwagenverkehren, die seinerzeit in einem Netzwerk der Staatsbahnen transportiert wurden, ist von ca. 50 % aller Bahnverkehre im Jahre 2000 auf etwas über 20 % (2014) zurückgegangen.
Der Modal Split der Schiene im Vergleich aller Verkehrsträger hat sich für den Schienen-Güterverkehr (europaweit) seit der Liberalisierung um ca. 2 % zurückentwickelt.
Waren Anfang/Mitte der 90er Jahre noch ca. 70 % Zugauslastung für die Bündelung von Einzel-Waggonverkehren in einem Zug wirtschaftlich, so müssen für das gleiche Zugsystem heute mehr als 90 % Auslastung vorhanden sein, um wirtschaftlich produzieren zu können. Dies ist insbesondere für private Investoren eine zu hohe Hürde.
Leider hat die Politik an dieser Entwicklung einen maßgeblichen Anteil, da die Auswirkungen der unter Pkt. 1 dargestellten Prozesse nicht ausreichend bewertet wurden und ohne kompensierende Gegenmaßnahmen blieben sowie zunehmend staatlich induzierte Kostenerhöhungen das System des Eisenbahn-Güterverkehrs zusätzlich belasten.
2. Aktuelle Wettbewerbsfähigkeit und Marktakzeptanz des Eisenbahn-Güterverkehrs
Die Beurteilung der aktuellen Marktakzeptanz ist für die 3 Produkte des Eisenbahn-Güterverkehrs sehr differenziert zu sehen. Ganzzugverkehre mit einer Gutart zwischen Gleisanschlüssen
Trotz der genannten Kostenerhöhungen ist dieses Produkt insbesondere auf Strecken über 100 km weiterhin wettbewerbsfähig. Aufgrund der Globalisierung und der Verlagerung von Basisindustrien Richtung Osten sind die Transportmengen hier stagnierend bzw. rückläufig zu sehen.
Intermodale Züge zwischen öffentlichen Hub’s
Sowohl die intermodalen Verkehre über die Seehäfen (infolge der Globalisierung) als auch die kontinentalen Verkehre des kombinierten Verkehrs (insbesondere durch Kollaps des europäischen Einzelwaggon-Verkehrs) haben in den letzten Jahren Wachstumsraten zu verzeichnen. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, sofern sich die Kosten für den Eisenbahn-Güterverkehr nicht weiter zum Nachteil des Verkehrsträgers Schiene entwickeln. Von entscheidender Bedeutung ist die Vorhaltung ausreichender Infrastrukturen insbesondere für die Seehafenvor- und –nachläufe und auf den europäischen Hauptmagistralen. Die Schaffung von Hinterland-Hub’s würde den Anteil des Schienenverkehrs in der Seehafenabfuhr erheblich erhöhen können.
Sonstige Waggonverkehre
Dieses Produkt, das Anfang der 90er Jahre über 50 % des Eisenbahn-Güterverkehrs ausmachte, ist nahezu kollabiert. Diese Entwicklung wird durch eine von der EU in Auftrag gegebene Studie durch das Beratungshaus PwC (PricewaterhouseCooper) belegt. Eine Zusammenfassung diese Studie kann in Anlage 1 eingesehen werden.
Insgesamt wird der Kollaps bei den sonstigen Waggonverkehren nicht durch Züge des intermodalen Verkehrs abgefangen werden können, so dass eine weitere Reduzierung des Modal Splits sowohl in Europa als auch in Deutschland diagnostiziert werden muss.
Die von meinem Verband INTERNATIONAL RAIL FREIGHT BUSINESS ASSOCIATION (IBS) e.V. in Auftrag gegebene Studie der Firma hwh (die Ergebnisse liegen Ihnen bereits vor) zeigt, dass bei Fortsetzung der staatlich induzierten Kostenerhöhungen zum einseitigen Nachteil der Schiene diese negative Entwicklung des Modal Splits gefördert werden wird.
3. Fazit
Das frühere System des Eisenbahn-Güterverkehrs in Vernetzung der staatlichen Bahnen unter staatlichen Reglementierungen ist nicht überlebensfähig und muss durch gezielte Maßnahmen des Sektors, aber auch der Politik, in ein neues privatwirtschaftliches Organisationssystem im einheitlichen europäischen Verkehrsraum überführt werden.
4. Schwerpunktaufgaben für die Erneuerung des Eisenbahn-Güterverkehrs in einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum
Schneller Ausbau von durchlass- und wettbewerbsfähigen Rail Freight Corridoren mit hohen Leistungsstandards (u. a. 740 m Zuglänge, 22,5 to Achslast, 100 km/h auf zweigleisig elektrifizierten Strecken)
Schnelle Umsetzung einheitlicher Energie- und Zugleitsysteme zur Vermeidung unnötiger technisch und technologischer Schnittstellen an den nationalen Grenzen
Vereinfachung der europäischen Reglementierungen und Regelungen für den Güterverkehr auf der Schiene, u. a. schnelle und europaweit geltende Zulassungen, Genehmigungen und Zertifikate über eine einheitliche europäische Agentur bei schnittweisem Abbau der nationalen Kompetenzen
Gestaltung und Einkauf der Güterverkehrstrassen über die Manager des jeweiligen Rail Freight Corridors (One Stop Shopping). Dabei muss der Güterverkehr konsequent aus den gemischten nationalen Verkehren über eigene Güterverkehrsstrecken und –Bypässe von wirtschaftlichen Zentren gestaltet werden.
Grossverlader und Spediteure müssen wirtschaftliches Interesse haben, alleine oder gemeinsam neue Zugverkehre zu wettbewerbsfähigen Bedingungen aufzubauen und die hierfür notwendigen Investitionen zu tätigen.
Zu einem Neuaufbau von Zugverkehren für Wagenladungen bzw. in Kombination mit intermodalen Verkehren müssen Umschlagsanlagen mit neuer Konfiguration (Railports) installiert werden. Beim Aufbau dieser Railports sind Fördermaßnahmen wie seinerzeit für den Aufbau des intermodalen Verkehrs über öffentliche Hub’s erforderlich.
Die öffentlichen Hub’s des intermodalen Verkehrs müssen den wachsenden Leistungsanforderungen angepasst und entsprechend infrastrukturell erweitert werden.
Die Leistungsfähigkeit des Eisenbahn-Güterverkehrs in Verbindung zu den Häfen muss kurzfristig ausgebaut werden. Die Schaffung von Hinterland-Hub’s zur Ver- und Entsorgung der Seehäfen mit gemischten Zügen und dort der Empfang und Versand von Ziel-Zügen in die jeweiligen Regionen kann den Eisenbahn-Anteil im Seehafenverkehr wesentlich erhöhen.
Der Innovations- und Investitionsstau im Bereich der Eisenbahnwaggons muss insbesondere durch das wachsende Interesse der Privatwirtschaft unterbrochen werden und den Entwicklungen auf der Straße angepasst werden.
Dies sind nur einige Hauptaufgaben, die durch entsprechende konkrete Maßnahmen zu untersetzen sind. Die ehemaligen Staatsbahnen werden künftig als privatwirtschaftliche Transport- und Logistikunternehmen an dieser Entwicklung teilhaben.
Die Entwicklung eines einheitlichen europäischen Verkehrsraums für den Eisenbahn-Güterverkehr und eine zentrale europäische Koordination der Entwicklungen muss bei zunehmendem Abbau der nationalen Interessen und Regulierungen beschleunigt werden.
5. Möglichkeiten der politischen Unterstützung des Eisenbahn-Güterverkehrs in einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum
Grundsätzlich muss das Verständnis der Politik über die Entwicklung des Eisenbahn-Güterverkehrs in den letzten Jahren erhöht werden. Die unter Pkt. 1. genannten nachteiligen Entwicklungen für den Schienenverkehr sind bisher politisch nicht ausreichend in die Entscheidungen und auch die Absichtserklärungen zur Entwicklung ökologischer Transportlösungen eingeflossen. Abgegebene Prognosen zur Verkehrsverlagerung werden ohne verkehrspolitische Trendwende nicht eintreten.
Folgende Möglichkeiten der Unterstützung durch die Politik (sowohl durch die EU als auch der nationalen Politik) werden gesehen:
Fortsetzung der bereits eingeleiteten Ausbau- und Reparaturmaßnahmen mit erhöhten Investitionsmitteln sowohl zugunsten staatlicher als auch privater Infrastrukturbetreiber
Vertiefung des Dialoges zwischen der Verkehrspolitik und den Verladern sowie Dienstleistungsunternehmen des Sektors zur Gewährleistung eines gemeinsamen Verständnisses
Erhöhung der finanziellen Mittel für die Förderung infrastruktureller Maßnahmen und innovativer Projekte durch die Connecting Europe Facility (CEF)
Politische Förderung der Maßnahmen zur Verkehrsbündelung von Waggonverkehren durch u. a.
- Installation und Finanzierung der o. g. Railports (Modell siehe Anlage 2)
- Erweiterung von Fördermitteln für die Installation und den Ausbau privater Gleis-Infrastruktur sowie Umschlagstechnik bei gleichzeitiger Vereinfachung der Antragsverfahren.
- Konsequente Umsetzung der Internalisierung der externen Kosten im Transportsektor
- Einflussnahme auf eine faire Anlastung der Kosten für die Nutzung der Transport-Infrastruktur zwischen den Verkehrsträgern Binnenschiff, Eisenbahn und LKW, hierbei ist unter Berücksichtigung der entstehenden europäischen Korridore eine Vereinheitlichung der Nutzungsbedingungen und Entgelte notwendig.
- Einflussnahme auf die Vereinfachung von Reglementierungen und Genehmigungsverfahren. Hier ist die Schaffung europäischer Kompetenzen und Abbau der nationalen Organisationsformen zwingend notwendig.